Titelseite der Flugpost Dezember 2022

Flugpost 12.2022

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, ©Klaus Eppele, stock.adobe.com
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, ©Klaus Eppele, stock.adobe.com

Information und Denkanstoss

Das BVG stellte fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes Artikel 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 als Ausdruck persönlicher Autonomie auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasse, welches das Recht auf Selbsttötung einschließt. Dieses Recht auf Selbsttötung beinhaltet auch die Freiheit, die fachkundige Hilfe hierzu bereiter Dritter in Anspruch zu nehmen, so dass ein Zugang zur freiwillig bereitgestellten Suizidhilfe eröffnet sein muss. Niemand kann jedoch verpflichtet werden, Suizidhilfe zu leisten.

Im Moment laufen die Verfahren zum Suizidhilfegesetz. Ergebnisse sind wohl im Frühjahr 2023 zu erwarten.Dazu muss meines Erachtens gehören: eine fachkundige, ärztliche Beratung, eine sehr umfassende Fürsorge und Begleitung. Einerseits sollte die Suizidprävention weiter ausgebaut werden, andererseits ist der Wunsch nach Beihilfe zum Suizid jedoch völlig zu akzeptieren. 

Der Schutz des Lebens und der Respekt vor der menschlichen Autonomie sind die zwei Begriffe, die in vielen Diskussionen in den Hospiz- und Palliativeinrichtungen gerade geführt werden. Was bedeutet das neue Gesetz für die Hospizbewegung im Allgemeinen um im Besonderen für unsere Institution? Gerade die Hospizidee hat sich von Anfang an für die Beachtung der Selbstbestimmung und für die individuelle Gestaltung der letzten Lebenszeit eingesetzt. Lindern von Leid, Veränderungen der Sterbebedingungen und die Menschen ganzheitlich (siehe Hospizblume Seite 2) in ihren Bedürfnissen zu betreuen, war und ist das Ziel. So sollte das Ende des Lebens einen natürlichen Verlauf nehmen, ohne künstlich verlängert, aber auch nicht willentlich verkürzt zu werden. 

Eine Erfahrung von uns zeigt, dass durch gute hospizliche und palliative Versorgung bei vielen Patienten und Patientinnen der Sterbewunsch abnimmt oder nicht mehr vorhanden ist. Aber nicht bei allen – und um diese Menschen geht es! 

Welche Positionen bezüglich des neuen Gesetzes werden die Hospize entwickeln und welche Haltung werden sie einnehmen? Wird es eine einheitliche Haltung geben, oder gibt es eine Spaltung in der Hospizbewegung? Kaum jemand macht es sich leicht in diesem Denk- und Entscheidungsprozess – und das ist auch gut so.

Wir werden gemeinsam eine Haltung für unsere Hospiz-Gruppe »Albatros« entwickeln.

Erste Gedanken dazu: Beihilfe zum Suizid ist kein Auftrag für eine ­ambulante Hospizeinrichtung. Wir werden aber Menschen mit diesem Wunsch nicht allein lassen – oder verlassen. Wie sich das Miteinander, das Begleiten gestalten wird, dazu braucht es noch viel Nachdenken und Überlegungen und wahrscheinlich wird eine »Grauzone« bleiben. Denn menschliches Leben und Sterben lässt sich nicht per Gesetz 100%ig und eindeutig regeln. 

Eine dauerhafte Aufgabe für uns ist und wird auch in Zukunft bleiben: Die Reflexion der persönlichen, der gesellschaftlichen und der hospizlichen Haltung und sich so auch auseinanderzusetzen mit der Ambivalenz zwischen Lebens- und Todeswünschen, sowie auch mit unserer eigenen Ambivalenz.

Zu meiner eigenen Auseinandersetzung fand ich folgendes spannend und hilfreich: Auf einer Arbeitssitzung mit Palliativmedizinern und -medizinerinnen und Palliativfachkräften aus den vielen Einrichtungen haben wir uns in verschiedene Blickwinkel begeben und unsere persönliche Haltung hinterfragt.

1. Blickwinkel – Persönlich

Was möchte ich für mich, wenn ich meine Lebenssituation als unerträglich und nicht mehr aushaltbar einschätze?

2. Blickwinkel – Angehörige 

Wie würde ich reagieren und auf welche Möglichkeiten zurückgreifen, wenn ein geliebter Angehöriger oder Freund mit dem Wunsch nach Beihilfe zum Suizid auf mich zukommt?

3. Blickwinkel – Hospizliche Dimension

Wie gehen wir mit den Wünschen der uns anvertrauten Patienten und Patientinnen um, die den Wunsch nach Beihilfe zum Suizid äußern? Zunehmend wird das Thema auch an uns herangetragen (werden) und es ist uns wichtig, eine hospizliche Haltung dazu zu entwickeln.

Ohne Frage werden wir die uns anvertrauten Menschen mit Respekt und Empathie liebevoll mit all unserer Kraft begleiten. Hospizliche Begleitung bedeutet für uns, die Menschen ohne Blick auf ihre Herkunft, Religion und Wertesysteme so anzunehmen, wie sie sind.

Auch diese neue Herausforderung werden wir annehmen und gemeinsame Wege finden.

In Verbundenheit

Bild von Renate Flach
Renate Flach

1. Vorsitzende

Laden Sie das PDF der Ausgabe, um auch folgende Artikel zu lesen:

Erfahrungsbericht

Gelebte hospizliche Haltung

Eine Angehörige

»Nicht jeder erträgt es, einen Sterbenden zu halten, nicht jeder Sterbende erträgt es, gehalten zu werden« – Henning Scherf.

Diese Worte kamen mir in den Sinn, als ich auf Anraten meiner Schwester Kontakt mit der Hospiz-Gruppe »Albatros« aufnahm. Unsere Mutter stand am Ende ihres Lebens, das wussten wir alle, aber in wieweit wir ihr Hilfe von außen geben konnten oder sollten, das wussten wir nicht. […]

Erfahrungsbericht

Trauer weist immer neue Wege auf

Carolin und Julia

Wir sind Carolin (24 Jahre) und Julia (22 Jahre), zwei Schwestern, die Ende 2019 ihren geliebten Papa durch eine schwere Krankheit verloren haben. […]

Veranstaltung

Albatros Jubiläumskonzert

Christian Echl, Dirigent Augsburger Ärzteorchester

Sehr geehrte Frau Flach, liebe Renate! Wir kennen uns nun schon einige Jahre und haben zusammen für »Albatros« immer wieder sehr schöne Konzerte ausgerichtet. Das letzte (Jubiläums-)Konzert allerdings hatte etwas Außergewöhnliches […]

Aus dem Verein

Auf in den hohen Norden...

Sandra Claus, Palliativfachkraft

Nach 2-jähriger Präsenzpause fand vom 28.09. bis zum 01.10.2022 der 14. DGP Kongress in Bremen statt. Mein erster Kongress auf den ich voller Vorfreude im Namen der Hospiz-Gruppe »Albatros« fahren konnte. […]

Erfahrungsbericht

Haben wir uns alles gesagt?

Waldemar Pisarski, Supervisor und Gestalttherapeut

Bewegend, wie Reinhard und Annemarie miteinander umgehen. Warmherzig, offen, Anteil nehmend und Anteil gebend. Sie hören einander zu, sie weinen und lachen miteinander. Am letzten Abend fragt sie ihren Mann: »Haben wir uns alles gesagt?« Er: »Ja, das was wir uns zu sagen hatten, haben wir uns immer gesagt.« Ihr Buch »Sanftes Sterben« (1985) zeugt davon, wie kostbar diese Beziehung war. […]